und noch ´ne leidenschaft

In einem Teil des Gartens - schon etwas von Gebüsch verdeckt - verbirgt sich ein ganz besonderer Ort. Wer den musischen und den literarischen Gartenteil durchwandelt hat, wird hier unvermutet auf einen Parkplatz stoßen. Hier stehen die Fahrzeuge, die mir ein Vierteljahrhundert hindurch die faszinierende Art der motorisierten Fortbewegung auf zwei Rädern ermöglicht haben...

Bis zu meinem 16. Lebensjahr machte ich mir nicht die Bohne aus Mofas, Mopeds und Motorrädern - bis mich ein Klassenkamerad auf seiner Honda CB 50 mitnahm. Nun konnte es nicht schnell genug gehen: zuerst den notwendigen Führerschein gemacht und am 24.12.1974 noch fix ein gebrauchtes Mokick unter dem Weihnachts-baum geparkt. Es war ein Fabrikat der Marke Zündapp, eine C 50 Sport, Typ 517-02.

 

Vor der ersten Fahrt war zunächst zweiradtaugliches Klima abzu-warten. Um mir den endlos scheinenden Winter zu verkürzen, nutzte ich die Zeit, um mir passendes Outfit anzuschaffen. Stiefel, Hand-schuhe und Jacke (aus Kunstleder!) waren rasch beschafft. Allerdings wollte ich unter allen Umständen den gerade den auf den Markt gekommenen Sturzhelm "Stratos" haben (vielleicht wegen der Ähnlichkeit von Name und Styling mit der Fender Stratocaster).

Foto: Evelyn Boxberger                                                         Der vom italienischen Designer Bertone entworfene Kopfschutz, der von der Seite gesehen stark an Ritterhelme des 17. Jahrhunderts erinnert, kostete allerdings satte 199 D-Mark. Jede nur irgendwie greifbare Münze wanderte in ein Sparschwein, bis ich das Objekt meiner Begierde bestellen konnte.

 

Da leider kein einziges Foto meiner Zündapp mehr existiert, zeige ich hier ein baugleiches, vom Betreiber von www.zuendapp-colonia.de mustergültig restauriertes Modell.

Die Ära der Einzylinder

 Foto: www.zuendapp-colonia.de

 

Das Mokick besaß einen recht kräftigen 3 PS-Motor mit Gebläsekühlung und gekapselter, also wart-ungsarmer Kette. Das Triebwerk zog ganz ordentlich. Eine Starflite GTM 50 mit Hochlenker konnte da nicht mithalten. Bergab waren Spitzengeschwindigkeiten zwischen 55 und 60 Km/h möglich - nicht schlecht für die Schnapsglasklasse.

 

Die Fortbewegung auf motorisierten Zweirädern feierte zu jener Zeit als sportliches Freizeitvergnügen fröhliche Urständ. So oft es die Witterung zuließ, unternahm ich mit dem Mokick ausgedehnte Touren durch den Odenwald. Doch bald verspürte ich auf meinen Fahrten den dringenden Wunsch, die auf der Zündapp technisch mögliche Höchstgeschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern zu überschreiten. Vor allem an Steigungen ließ die bescheidene Motorleistung von knapp drei Pferdestärken (2,2 KW) doch sehr zu wünschen übrig. Mehr Tempo würde erlaubt haben, den doch sehr eingeschränkten Aktionsradius zu erweitern. Folgerichtig opferte ich einen Teil meiner Ersparnisse, erwarb den Motor-radführerschein (am Autofahren war ich damals nicht interessiert) und leistete mir mein erstes „richtiges“ Motorrad.

 

Die Wahl fiel 1976 ganz pragmatisch auf eine in der DDR produzierte und deshalb konkurrenzlos preiswerte 250er mit einer Motorleistung von immerhin 19 PS (14 KW, später auf versicherungs-günstigere 17 PS bzw. 12,5 KW gedrosselt). Immerhin stand jetzt etwa das Sechsfache an Motorleistung zur Verfügung. Für die bei Neckermann aufgerufenen 1990 DM bekam man beim Motorradhändler seinerzeit nicht einmal ein Kleinkraftrad westdeutscher Fabrikation mit knapp einem Viertel der Leistung und mit einem Fünftel des Hubraumes.

Ein "richtiges" Motorrad verlangt nach zünftiger Gewandung. Mit billigem Kunstleder und Jeansstoff wird es auf die Dauer zu gefährlich. Eine Kombi musste her. Aus Kostengründen war die zwar auch nicht aus echtem Leder, aber immerhin war das Material der Firma ECO vom Speedway-Weltmeister Egon Müller empfohlen worden (der bei einem Sturz allerdings lediglich über Sand gerutscht wäre, ich hingegen über wenig nachgiebigen Asphalt). Natürlich musste der Helm in Heimarbeit farblich angepasst werden.

 

Als ich den Helm ausrangiert habe, diente er noch etliche Jahre zum Sammeln von Autogrammen namhafter Motorradsportler. Seit 2020 hängt das gute Stück in Brunos Ristorante "La Piazza" in Leimen. In seinem Restaurant steht seine ultrasportliche Ducati mit Straßenzulassung. Bruno ist nämlich Motorradfreak und bekennender Ducatist - was er auch beim Kochen unter Beweis stellt: https://www.youtube.com/watch?v=l8X6RiRyjP4 

Cordiali saluti, Bruno!

Im Lauf der Jahre haben sich auf dem Stratos einige Autogramme von Motorradchampions angesammelt:

Motorradfahren wurde zu meiner Lieblingsfreizeitbeschäftigung. Das Motorrad gestattete mir eine völlig andere, ansprechendere Art des Reisens als das Automobil. Man ist nicht mit anderen Passa-gieren in einem engen Fahrgastraum zusammengepfercht und empfindet die Fortbewegung durch die wechselnden Eindrücke von Fahrtwind und Temperatur viel direkter und intensiver. Das trifft beim Cabriofahren zwar zum Teil auch zu, aber ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal bietet nur die Fort-bewegung auf einem Motorrad: das Hineinlegen in die Kurven (bitte nicht verwechseln mit dem Hinle-gen in den Kurven!). Das alles zusammen plus die spontanere Beschleunigung macht den besonderen Reiz des Motorradfahrens aus. Apropos besonderer Reiz: welche Beifahrerin schmiegt sich im Auto so vertrauensvoll an den Fahrer? Eine vierrädrige Karosse war für mich daher für viele Jahre keine Option.

 

Die MZ war eines der wenigen Motorräder, das ich mir als Schüler leisten konnte. Sie hatte jedoch einen klitzekleinen Nachteil, der die Freude am Fahren etwas trübte: eine schier endlose Kette aus kleineren, manchmal auch größeren technischen Pannen. Ärgerlich. Ich wollte fahren, nicht schrauben. Nach vier Jahren war damit Schluss.

 

Schon länger hatte mich eine einzylindrige Yamaha mit einem halben Liter Hubraum und 27 PS (20 KW) aus dem Schaufenster eines Händlers angelacht. Als Werkstudent mit festem Einkommen stand der Verdopplung des Hubraumes und der Arbeitstakte nichts mehr im Wege: 1980 begann die Ära der Viertakter aus fernöstlicher Produktion.

Nun waren auch größere Motorradwanderungen entspannter zu bewältigen, so z.B. eine ausgedehnte Tour 1982 durch das bergige Corsica. Die Insel ist ein Kurvenparadies auf Erden. Dort darf, ja muss man vor unübersichtlichen Kehren sogar von der Fanfare reichlich Gebrauch machen. Versucht das mal im Schwarzwald!

 

Eine neue, weiß-blaue Kombi (wieder aus synthetischem Leder von ECO) war fällig, dazu ein neuer Helm, farblich abgestimmt und diesmal ohne spätmittelalterliche Ritteroptik. Der Kopfschutz von Porsche Design griff eher das moderne Prinzip der Astronautenhelme auf.

Die Ära der Mehrzylinder

Das Reisen mit dem Motorrad nahm einen immer breiteren Raum in meiner Freizeitgestaltung ein. Der etwas schmalbrüstigen Yamaha waren da doch Grenzen gesetzt, vor allem was die Zuladung betrifft. Ein muskulöser Lastesel war sie nicht. 1983 gab ich sie gegen eine Honda CX 500 in Zahlung. Der Hub-raum blieb unverändert, nur war der halbe Liter nun auf zwei Zylinder verteilt, die statt wie bisher per Kickstarter nun mit einem Druck auf den Anlasserknopf zum Leben erweckt wurden.

 

Honda hatte den Motor eigentlich für einen Kleinwagen entwickelt, der jedoch nie in Serie ging. Statt dessen schraubte man ihn in einen Motorradrahmen - und hatte der Motorradgemeinde ein wahres Arbeitspferd geschenkt, das schnell zum Verkaufsschlager avancierte. Die CX schöpfte ihre 50 PS (36,8 KW) aus einem robusten V-Zweizylinder mit Flüssigkeitskühlung. Von den einen wurde sie daher verächtlich, von den anderen liebevoll "Güllepumpe" genannt (Urheber der wenig schmeichelhaften Titulierung ist der Comiczeichner Rötger Feldmann alias Werner).

Dank der speichenlosen Räder und des wartungsarmen Kardanantriebs war die CX 500 das ideale Reisegefährt - was sich in einer zweiten Corsicatour widerspiegelt.

Trips auf Traummotorrädern

Immer nur den eigenen Hobel reiten wird auf die Dauer auch langweilig. Da tauscht man schon mal sein bestes Motorrad der Welt mit dem eines Freundes oder Bekannten - ganz besonders, wenn es sich um eine Maschine italienischer Bauart handelt.

Die erste Gelegenheit zu einer Rundfahrt mit einer Italienerin bot sich mir 1979. Ein kurzer, aber unver-gesslicher Trip durch den Kleinen Odenwald auf einer sportlichen Moto Guzzi Le Mans III mit Lafranconi-Tüten und Dellorto-Vergaser. Das Fahrerlebnis habe ich 1980 in dem kurzen Essay "Hephaistos muss so gewohnt haben" verarbeitet (s. Frühwerk).

 

Großen Eindruck hinterließ bei mir eine italienische Ducati 750 Supersport eines meiner Kommilitonen - vor allem am verlänger-ten Rücken. Das Gefährt hatte so straffe Stoßdämpfer und eine so gnadenlos harte, lediglich mit dünnem Moosgummi "gepols-terte" Sitzbank, dass sich die eigenen Bandscheiben hinterher wie zerkatschte Marshmellows anfühlten. Das ultrasportliche Gefährt gab jede Überquerung eines Gullideckels so rabiat und unbarm-herzig an die Wirbelsäule weiter, dass man versucht war, mehr in den Rasten stehend als sitzend zu fahren.

Trotz allem: man muss dieses unvergleichlich direkte Fahrgefühl erlebt haben! Auch wenn's weh tut...

Ein wenig komfortabler, wenn auch alles andere als bequem erwies sich die Fortbewegung auf einer Ducati 900. Probefahrten auf anderen Klassikern wie Benelli 750/900 SEI, Laverda 1000 oder gar auf einer legendären MV Agusta blieben mir leider versagt. Dafür sind diese Modelle auf teutonischen Straßen einfach zu selten unterwegs. Die "Reis-kocher" aus Japanien waren zwar technisch zuver-lässiger (und vor allem erschwinglicher), doch das Flair eines Italobikes - das metallische Mahlen einer desmodromischen Ventilsteuerung, das Röcheln offener Vergaser, das  sonore Bollern aus

den "Schalldämpfern" - das war nur auf einem Motorrad aus Mandello, Bologna oder Varese zu erleben. Forza dell'Italia auf zwei Rädern...                                                                                                  Foto: Manfred

das herz sagt ja, der kopf sagt nein

Die Bekanntschaft mit den italienischen Boliden weckte in mir Begehrlichkeit nach mehr - mehr Hubraum, mehr Leistung, mehr Drehmoment und damit mehr Prestige - aber (ich gebe es zu) auch nach mehr Komfort für die lange Reise. Eine Ducati mit Gepäckträger und Packtaschen, das wäre wie eine Kurzstrecken-sprinterin mit Rucksack und Rollkoffer. Und die Wünsche der besten Sozia von allen wollen ja auch berücksichtigt werden...

 

Gegen Ende der achtziger Jahre bot sich eine günstige Gelegenheit, in die zweirädrige Oberliga aufzusteigen: ein Freund verkaufte seine gepflegte Yamaha XJ 900. Das Angebot des sachkundigen, über jeden Zweifel erhabenen Zweiradkenners konnte ich nicht ausschlagen.

Der schmale, luftgekühlte Vierzylindermotor produzierte 97 PS (71,3 KW) und katapultierte das Gefährt pfeilschnell nach vorne. Für's beschauliche Motorradwandern nicht unbedingt notwendig, doch die beachtlichen Leistungsreserven für schnelle Zwischenspurts waren nicht zu verachten. Speichenlose Räder und Kardanwelle sorgten für Wartungsarmut, die Halbverkleidung gewährte einen gewissen Wind- und Wetterschutz.

Am 29.05.1996 fuhr ich von der Kleinstadt Schönebeck zurück nach Magdeburg, meinem da-maligen Wohnsitz. Mein fahr-barer Untersatz: eine Honda 1100 Pan European. Ich war endgültig in der Motorrad-oberliga angekommen. In dem flüssigkeitsgekühlten V-Vier-zylinder werkelten 100 Pferde-stärken (73,5 KW), die bei Be-darf durch einen kleinen Dreh am Gasgriff selbst aus dem tiefsten Drehzahlkeller einen brachialen Schub entfesselten. Die schnittige Vollverkleidung hielt nicht nur den enormen Winddruck bei hohen Geschwindigkeiten jenseits               Die beste Sozia von allen     der 200 Km/h, sondern auch Regentropfen weitestgehend vom Fahrer fern. Längere, flott gefahrene Etappen ließen sich so recht entspannt und angenehm zurücklegen.

Meine beste Sozia von allen und ich unternahmen so manche Fahrt durch meine neue Wahlheimat im Osten Deutschlands. Krönung war eine gemeinsame Tour durch Südfrankreich, die Pyrenäen und Nordspanien. Hier konnte der Reisedampfer aus Nippon seine Trümpfe ausspielen: Drehmoment, Drehmoment und noch mehr Drehmoment.

1999, nach drei Jahren schöner, gemein-samer Ausfahrten, trennte ich mich von meiner Pan European. Dafür war die beste Sozia von allen meine Frau gewor-den. Nachwuchs kündigte sich an, neue Prioritäten mussten gesetzt werden.

 

Tja, das war´s dann. Ich hoffe, die Honda ist in gute Hände geraten.

 

 

 

 

Foto: Sabine Boxberger